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Empörung und Verwirrung um geplante Triage-Regelung

medstra-News 47/2022 vom 17.5.2022

Wie verschiedene Medien übereinstimmend berichteten, soll das Gesundheitsministerium unter Karl Lauterbach (SPD) einen ersten Entwurf zur Regelung von Triage-Situationen ausgearbeitet haben. Das BVerfG hatte die Regierung in einer viel beachteten Entscheidung Ende Dezember dazu aufgefordert, „unverzüglich“ eine solche Regelung zu erarbeiten.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Triage-Entscheidung ausschließlich anhand der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ getroffen werden dürfe. Keinesfalls dürfe es aufgrund einer Behinderung, von Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion bzw. Weltanschauung sowie des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung zu Benachteiligungen kommen. Die Entscheidung über eine ex ante-Triage müsse von zwei erfahrenen Intensivmedizinern getroffen werden; bei Uneinigkeit müsse ein dritter Facharzt hinzugezogen werden. Insgesamt darf von den an der Entscheidung beteiligten Ärzten nur eine Person an der unmittelbaren Behandlung des Patienten beteiligt sein. Sofern eine ex post-Triage im Raum steht, muss die Entscheidung von drei Intensivmedizinern einvernehmlich getroffen werden. Hat der Patient eine Vorerkrankung oder eine Behinderung, muss zusätzlich eine Person mit Expertise bezüglich der konkreten Erkrankung bzw. Behinderung hinzugezogen werden, es sei denn, die Dringlichkeit der Behandlungssituation lässt dies nicht zu. 

Der Entwurf orientiert sich zwar in weiten Teilen an den Vorgaben des BVerfG. Scharfe Kritik wurde allerdings daran geübt, dass in dem Entwurf explizit auch die ex post-Triage zugelassen werden sollte – das BVerfG hatte sich in seiner Entscheidung ausschließlich auf die ex ante-Triage bezogen und sich zur ex post-Triage nicht geäußert. Insbesondere von den Grünen und aus der CDU, aber auch vom Deutschen Caritasverband oder der Stiftung Patientenschutz wurde dieser Teil der Regelung heftig kritisiert. 

Kurze Zeit später, am 9.5.2022, distanzierte sich Lauterbach von dem Entwurf und stellte klar, keine Regelung für eine ex post-Triage treffen zu wollen. Medienberichten zufolge soll die umstrittene Passage auf Drängen des Justizministers Marco Buschmann (FDP) in den Entwurf aufgenommen worden sein. Die LIGA, eine Organisation zur Selbstvertretung behinderter Menschen in Deutschland, forderte deshalb bereits den Rücktritt Buschmanns.

§ 5c IfSG-E lautet im Wortlaut:

(1) Eine ärztliche Entscheidung über die Zuteilung von pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten (Zuteilungsentscheidung) darf nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden. Komorbiditäten dürfen nur berücksichtigt werden, soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern. Der oder die Behandelnde darf Zuteilungsentscheidungen nicht aufgrund eines anderen als in Satz 1 genannten Kriteriums treffen. Insbesondere darf bei der Zuteilungsentscheidung niemand wegen einer Behinderung, der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung benachteiligt werden.

(2) Eine Zuteilungsentscheidung ist von zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen oder Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen, die die Patientinnen oder Patienten unabhängig voneinander begutachtet haben. Besteht kein Einvernehmen, ist eine weitere, gleichwertig qualifizierte ärztliche Person hinzuzuziehen und sodann mehrheitlich zu entscheiden. Von den nach Satz 1 und 2 beteiligten Fachärztinnen und Fachärzten darf nur eine Fachärztin oder ein Facharzt in die unmittelbare Behandlung der von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen oder Patienten eingebunden sein. Bei bereits zugeteilten pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten ist eine Zuteilungsentscheidung nach den Maßgaben des Absatzes 1 von drei mehrjährigen intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen und Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen, die den Patienten oder die Patientin unabhängig voneinander begutachtet haben. Sind Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen von der Zuteilungsentscheidung betroffen, muss die Einschätzung einer weiteren hinzugezogenen Person mit entsprechender Fachexpertise für die Behinderung oder die Vorerkrankung bei der Zuteilungsentscheidung berücksichtigt werden. Dies gilt nicht, soweit die Dringlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung der von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen oder Patienten der Beteiligung nach Satz 5 entgegensteht. 

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Verlag C.F. Müller

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