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Beschluss des Deutschen Ärztetages zur Einführung eines Triage-Gesetzes

medstra-News 53/2022 vom 27.5.2022

Nachdem sich das Bundesverfassungsgericht per Beschluss vom 16. Dezember 2021 (Az: 1 BvR 1541/20) mit Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderung bei der Triage befasst hat, wird in Deutschland die Einführung eines Triage-Gesetzes diskutiert. Der Erste Senat entschied, dass im Einklang mit der Verfassung für die Triage gesetzliche Kriterien erwogen werden können, wie in Krisensituationen knappe medizinische Ressourcen zur Lebensrettung zu verteilen sind. In solchen Extremsituationen verdichte sich ein staatlicher Schutzauftrag, das Risiko einer Zuteilungsbenachteiligung intensivmedizinischer Ressourcen zu minimieren.

Die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs (ausf. zu den Entwürfen medstra-News 47/2022 und 16/2022) und dessen Abstimmung innerhalb der Ressorts der Bundesregierung nahm der diesjährige 126. Deutsche Ärztetag zum Anlass, Stellung zum Gesetzesvorhaben zu beziehen. In seinem Beschluss fordert das aus ca. 250 Abgeordneten der Bundes- sowie Landesärztekammern bestehende Ärztegremium die Politik auf, in der laufenden Debatte intensivmedizinisches Personal eng zu beteiligen. 

Die Abgeordneten positionierten sich ausdrücklich, als maßgebliches Entscheidungskriterium allein die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit festzulegen. Ein Losverfahren zur Zuteilung oder Verweigerung einer notwendigen Behandlung mit ausbleibender Berücksichtigung von deren Erfolgsaussichten stehe dem ärztlichen Denken diametral entgegen. Bei der Implementierung des Entscheidungskriteriums müsse beachtet werden, dass eine Ressourcenverteilung anhand des Aufnahmezeitpunktes weder ethisch begründbar noch medizinisch sinnvoll sei. Der diskutierte kategorische Ausschluss der ex post-Triage verlagere die extreme Entscheidungssituation von den Intensivstationen in oder vor die Notaufnahme der Kliniken. Weiter könne kein expliziter Schutz bestimmter Personengruppen angedacht werden. Dem ärztlichen Handlungsprinzip sei es zwingend immanent, jegliche Indikation ohne Ansehen der Person nach Patientenwillen, medizinischer Notwendigkeit und Erreichbarkeit des Therapieziels zu stellen, um eine aktive Benachteiligung einer zu behandelnden Person zu unterbinden. 

Zudem unterstreicht der Beschluss des Ärztetages die Herausforderung, denen sich die Ärzteschaft im Umgang mit Triagesituationen stellen müsse. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG müsse in der gesamten Debatte berücksichtigt werden, dass durch die mögliche Neuregelung begrenzte personelle und sachliche Kapazitäten der Intensivmediziner sowie des gesamten Gesundheitswesens in Krisenzeiten keine weiteren Belastungen erfahren sollten. Das angestrebte Ziel, eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten, vor allem auch solche mit Behinderungen, bestmöglich zu behandeln, dürfe sich nicht in sein Gegenteil verkehren.

Die Gegebenheiten der klinischen Praxis, wie etwa die medizinische Gebotenheit von schnellen Entscheidungsprozessen sowie fachliche Kompetenzen und klinische Erfahrungswerte des letztverantwortlichen intensivmedizinischen Personals im konkreten Einzelfall, seien im letztendlichen Gesetzentwurf zwingend zu beachten. Das allozierende ärztliche Personal dürfe keinerlei rechtlichen Risiken ausgesetzt werden, soweit die berufsethischen Grundsätze, aktuelle Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sowie die aufgestellten Kriterien befolgt werden. Das ärztliche Vorgehen nach diesen Maßstäben müsse als objektiv rechtmäßig eingestuft werden. Ein in diesem Fall lediglich entfallender individueller Schuldvorwurf sei für die Ärzteschaft nicht hinnehmbar.


Verlag C.F. Müller

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