medstra-News108/2022 vom 25.10.2022
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes“ ist im Bundestag auf gemischte Reaktionen gestoßen. Nachdem das BVerfG im Dezember 2021 entschieden hatte, dass Menschen bei der Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen nicht wegen einer Behinderung, ihres Alters oder schwerer Erkrankungen benachteiligt werden dürfen (Az. 1 BvR 1541/20), beginnt der Gesetzgeber nunmehr, hinreichende Vorkehrungen zum Schutz Betroffener zu schaffen.
Der Entwurf verbietet daher zunächst, Patienten bei sog. Triageentscheidungen wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung zu benachteiligen. Ausschlaggebend soll vielmehr allein die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen sein.
Kritik entzündet sich allerdings vor allem daran, dass der Entwurf der sog. Ex-Post-Triage eine ausdrückliche Absage erteilt. Demnach sind Menschen, denen bereits ein Intensivbett zugewiesen worden ist, von der Abwägung mit späteren intensivmedizinischen Neuzugängen ausgenommen. Angesichts dieses Verbots befürchten viele Mediziner eine generelle Gefährdung intensivmedizinischer Behandlungen in Deutschland. So sieht etwa Uwe Janssens, der frühere Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, mit Sorge, dass künftig einmal eingeleitete Intensivtherapien über den Pandemiefall hinaus selbst dann nicht mehr beendet werden könnten, wenn eine Weiterbehandlung medizinisch-ethisch bereits nicht mehr angezeigt sei. Ebenso wie der Bundesrat unterstützt auch die Bundesärztekammer Forderungen nach der Zulässigkeit der Ex-Post-Triage, da die geplante Neuregelung das ethisch-moralische Dilemma der Zuteilung begrenzter Ressourcen lediglich von den Intensivstationen in die Notaufnahmen vorverlagere, aber nicht löse.
Daneben kritisierten verschiedene Abgeordnete, dass die Regelung nach einer bestimmten Zeit überprüft werden müsse, der Entwurf sich allein auf Epidemien, nicht aber auch auf andere Notsituationen wie Naturkatastrophen oder Terroranschläge beziehe und darüber hinaus keine Meldepflichten oder behördlichen Kontrollen vorgesehen seien, um Verstöße gegen die Triagevorgaben abzusichern.
Demgegenüber verteidigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Vorschlag und betonte, dass jeder, der bereits in intensivmedizinischer Behandlung sei, sich auf deren Fortführung verlassen könne werde. Mögliche Änderungen werden nun in den Ausschüssen des Bundestags beraten.