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Anklagen gegen Ex-Vorgesetzte von Niels Högel zugelassen

medstra-News 67/2021 vom 21.9.2021

Der Krankenpfleger Niels Högel hatte während seiner Tätigkeit in den Jahren 2000-2005 auf den Intensivstationen der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst eine Vielzahl von Menschen getötet, indem er ihnen todbringende Medikamente verabreichte, um sie anschließend zu retten. Högel wurde im Juni 2019 wegen 85-fachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt (medstra-News 33/2019). Am 10. September 2021 wurde nun nach langer Verzögerung die Anklage gegen acht seiner Ex-Vorgesetzten und ehemaligen Kollegen wegen Tötung durch Unterlassen zugelassen. Bereits Anfang Juni hatte die Staatsanwaltschaft Oldenburg einen früheren Kollegen Högels wegen bewusster Falschaussage unter Eid angeklagt (medstra-News 45/2021).

Bei den Angeklagten handelt es sich um fünf Ärzte, eine Pflegedienstleiterin, einen Krankenhauschef sowie eine stellvertretende Stationsleiterin der beiden Kliniken. Ihnen wird vorgeworfen, wissentlich Verdachtsmomente gegen Högel übergangen zu haben, obwohl sich diese bereits verdichtet hatten. Insbesondere dem sprunghaften Anstieg des verabreichten letalen Medikaments, mit dem Högel tötete, soll die angeklagten Personen nicht nachgegangen sein. Selbst als Högel in Delmenhorst 2005 bereits auf frischer Tat angetroffen wurde, hätten sich die Verantwortlichen gegen eine sofortige Benachrichtigung der Polizei entschieden und ihn zugleich für zwei weitere Schichten eingesetzt. In seiner letzten Schicht tötete Högel noch eine weitere Patientin.

Das Hauptverfahren vor der Schwurgerichtskammer des Landgericht Oldenburg wird Anfang 2022 beginnen und voraussichtlich 40 Verhandlungstermine umfassen. Vorsitzender der Kammer wird Richter Sebastian Bührmann sein, der bereits den Prozess gegen Högel geführt hatte. Dessen Kammer hatte entschieden, die Verfahren gegen jeweils vier Verantwortliche bzw. Mitarbeitende des Klinikums Oldenburg sowie des Klinikums Delmenhorst zu verbinden. In dem Prozess wird Högel aufgrund seiner bereits rechtskräftigen Verurteilung als Hauptzeuge auftreten können.

Gegen einen ursprünglich fünften Angeschuldigten wurde die Anklage hingegen in Gänze nicht zugelassen. Dem früheren Chef der Anästhesie Oldenburg wurde vorgeworfen, Högel vor seinem Wechsel ins Klinikum Delmenhorst trotz ernsthafter Zweifel an dessen Arbeit ein positives Arbeitszeugnis ausgestellt zu haben. Das Landgericht lehnte jedoch die Garantenstellung des Chefarztes gegenüber den Patienten des Klinikums in Delmenhorst ab. Die Pflicht, ein zutreffendes Arbeitszeugnis zu erstellen, diene den Interessen des Arbeitnehmers und des zukünftigen Arbeitgebers, nicht aber dem Schutz Dritter oder der Allgemeinheit.

Entsprechend hatte das OLG Oldenburg bereits am 30. Juli 2021 in letzter Instanz rechtskräftig entschieden, dass den Klinikmitarbeitenden aus Oldenburg die 60 weiteren Todesfälle in Delmenhorst nicht zugerechnet werden können und lehnte für diese Tatvorwürfe die Eröffnung eines Hauptverfahrens ab (medstra-News 49/2021).

 


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